Mit dem Atem den Sturm beruhigen – Wie Breathwork das Nervensystem reguliert
- Andreas Bauer

- 11. Nov.
- 2 Min. Lesezeit

Ich erinnere mich noch gut an eine meiner Breathwork-Sitzungen mit einem Klienten, der zu mir kam, weil er sich „ständig unter Strom“ fühlte. Der Körper war angespannt, der Schlaf flach, der Kopf voller Gedanken.
Er sagte: „Es fühlt sich gerade an, als würde ich all meine Energie verbrennen - ohne das ich wirklich was bewege. Im Leerlauf sozusagen. Und ich kann es nicht stoppen."
Das ist genau der Punkt, an dem Atemarbeit (Breathwork) zu einem kraftvollen Werkzeug wird. Denn über den Atem haben wir direkten Zugang zu einem System, das sonst unbewusst arbeitet – unserem autonomen Nervensystem.
Fight or Flight vs. Rest and Digest
Unser autonomes Nervensystem hat zwei Hauptmodi:
den Sympathikus („Fight or Flight“) – zuständig für Aktivierung, Leistung, Schutz.
den Parasympathikus („Rest and Digest“) – zuständig für Regeneration, Heilung und innere Ruhe.
In der modernen Welt sind viele von uns zu oft im „Fight or Flight“-Modus gefangen – selbst wenn keine echte Bedrohung da ist. Der Körper reagiert auf E-Mails, Verkehr, Leistungsdruck oder ständige Reize so, als würde ein Tiger vor uns stehen.
Das Ergebnis: Dauerstress. Und der Atem spiegelt das wider – flach, schnell, meist über den Brustkorb.
Der Atem als direkter Zugang
Über bewusste Atmung können wir dieses System regulieren. Der Atem ist die einzige Körperfunktion, die sowohl automatisch als auch willentlich gesteuert wird. Genau das macht ihn so besonders – und so mächtig.
Wenn wir langsam, tief und gleichmäßig atmen, senden wir über den Vagusnerv ein klares Signal an das Gehirn:
„Ich bin sicher. Du kannst loslassen.“
Das Gehirn reagiert sofort: Herzfrequenz sinkt, Muskeln entspannen sich, Gedanken werden ruhiger.
Ein Moment der bewussten Regulation
In meinen Sessions beginne ich oft mit einer einfachen Übung, die du auch jetzt ausprobieren kannst:
Setz dich bequem hin und schließe für einen Moment die Augen.
Atme ein durch die Nase – etwa vier Sekunden lang.
Halte den Atem kurz, zwei Sekunden.
Atme doppelt so lang aus, also etwa acht Sekunden, ebenfalls durch die Nase.
Wiederhole das für zwei bis drei Minuten.
Du wirst merken, wie der Körper sich verändert. Schultern sinken, der Puls beruhigt sich, Gedanken klären sich. Das ist keine Magie – das ist Biologie. Du steuerst dein Nervensystem über den Atem.
Vom Reagieren zum bewussten Handeln
Mit der Zeit lernen meine Klient:innen, diesen Zustand nicht nur im Coaching zu finden, sondern mitten im Alltag: beim Streit, im Büro, in der U-Bahn. Ein bewusster Atemzug wird zur Mini-Pause zwischen Reiz und Reaktion.
Das ist der Moment, in dem du die Kontrolle zurückgewinnst. Nicht durch Anstrengung, sondern durch Präsenz.
Ein neues Verhältnis zu Stress
Stress an sich ist nichts Schlechtes – er ist Teil des Lebens. Aber wenn du lernst, dein Nervensystem über den Atem zu steuern, wird Stress zu etwas, das du durchfließen lassen kannst, statt darin stecken zu bleiben.
„You can’t stop the waves, but you can learn to surf – and your breath is the surfboard.“
(Gus Hoyt)
Fazit
Bewusste Atmung ist kein esoterischer Trick, sondern ein physiologisches Werkzeug. Mit jedem Atemzug hast du die Möglichkeit, dich selbst zu regulieren – vom Chaos zur Klarheit, von Reaktion zu Handlung, vom Stress zur Ruhe.
Und das Beste: Dieses Werkzeug trägst du immer bei dir. Alles, was du brauchst, ist ein Moment der Aufmerksamkeit – und einen Atemzug.







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