
Wir brauchen mehr Wir-Gefühl (2) – Ansatzpunkte und Voraussetzungen. Oder: Was wir von einer Alpenüberquerung lernen können.
Im letzten Artikel dieser Reihe ging es um das Bedürfnis nach Zusammenhalt und Wir-Gefühl im Team. Dabei wurde auch deutlich, dass man dieses Gefühl nicht herbeiorganisieren, vereinbaren oder einfordern kann, sondern dass es sich um etwas handelt, das sich unter bestimmten Bedingungen einstellt. Was sind nun aber diese Bedingungen und was kann man auf dem Weg dorthin tun? Im Jahr 2019 überquerte eine Gruppe Sportler mit und ohne Handicap per (Hand-) Bike die Alpen. Am Ziel angekommen berichten die Teilnehmenden begeistert von der tollen Erfahrung als Team (>>Link zum Beitrag<<). Was können wir daraus für die Zusammenarbeit im Team lernen?
Attraktive gemeinsame Ziele und Herausforderungen
Über die Bedeutung von Zielen ist viel geschrieben – über den sehr unterschiedlichen Umgang damit auch. Für die Entstehung eines Wir-Gefühls braucht es – und daran hapert es oft – ein von allen geteiltes, attraktives Ziel oder Herausforderung, die es zu meistern gilt. Ist dies vorhanden, entsteht ein Gefühl von „Wir alle gemeinsam für das große Ganze!“ Zweifelsohne war dies bei der Gruppe der Alpenüberquerer der Fall: Es gab einen festen Zielort, der erreicht werden sollte. Wichtiger als die Attraktivität des Ortes selbst war jedoch das übergeordnete Ziel: Für sich als Einzelner diese Herausforderung zu meistern und gleichzeitig zu zeigen, dass dies auch für Menschen mit Handicap und Rollifahrer*innen möglich ist.
Sichtbarkeit des Einzelnen – Hilfe geben und annehmen
So paradox es klingt: Damit ein Wir-Gefühl entstehen kann, muss jeder Einzelne auch als Person sichtbar werden. Nur so werden Stärken deutlich und können sich die Teammitglieder wirklich kennen lernen und somit auch einschätzen, einander anfangen zu vertrauen. Indem man auch mit seinen Schwächen sichtbar wird, kann überhaupt erst ein Klima von Akzeptanz und Unterstützung entstehen. Und der Einzelne kann merken: So wie ich bin, werde ich akzeptiert und kann als wesentlicher Bestandteil des Teams einen wertvollen Beitrag leisten. Dafür braucht es auch die Fähigkeit der anderen Teammitglieder, Unterschiedlichkeit anzuerkennen und auszuhalten. Bei der Alpen-Überquerung gab es immer wieder auch kritische Situationen, in denen einzelne Teammitglieder glänzen konnten, aber auch Unterstützung der anderen benötigten.
Feiern von Erfolgen, verarbeiten von Niederlagen
Nur mit einem Ziel ist es nicht getan – wesentlicher Bestandteil ist auch, die Zielerreichung und andere Erfolge wirklich zu feiern, statt Erreichtes nur abzuhaken und auf die nächste Herausforderung zu fokussieren. Das gemeinsame Feiern von Erfolgen setzt genau auf der Ebene an, mit der wir es beim „Wir-Gefühl“ zu tun haben: Auf der Gefühlsebene. Zufriedenheit und Stolz können gelebt und miteinander geteilt werden. Das schweißt zusammen. Die Bilder, wie sich die TeilnehmerInnen der Bergtour abends in die Arme fallen, sprechen für sich.
Gleiches gilt aber auch für den Umgang mit Niederlagen und Gefühlen wie Ernüchterung oder Frustration. Teilt man auch diese Erlebnisse, fördert man die gemeinsame Verarbeitung und verhindert, dass jeder Einzelne sich mit seinem Frust zurückzieht. Gleichzeitig ist es eine gute Möglichkeit, die eigene Arbeit auszuwerten und für das nächste Mal daraus zu lernen.
Identität als Team
Hilfreich für ein Wir-Gefühl ist die Etablierung einer starken Team-Identität. Dies bedeutet Antworten auf die Fragen; Wer sind wir? Wofür stehen wir? Warum gibt es uns? Was treibt uns an? Was macht uns aus? Antworten auf diese Fragen können nicht vorgegeben werden, sondern müssen gemeinsam ausgehandelt, manchmal auch ausgefochten, werden.
Vertrauen
Vertrauen bedeutet die grundsätzliche Haltung und Überzeugung, dass die anderen Teammitglieder gleichermaßen verantwortungsvoll, fachlich kompetent und ohne bösen Willen agieren wie man selbst. Vertrauen ist die Grundlage dafür, sich auch mit seinen weniger ausgeprägten Talenten und Eigenschaften zu zeigen. Gleichzeitig entsteht es nur über Vorschuss und anschließende Erfahrungen, die man miteinander macht. Die Alpenüberquerer brauchten die grundsätzliche Überzeugung, dass alle dieser Herausforderung sportlich gewachsen sind. Dazu trainierten sie beispielsweise schon im Vorfeld miteinander. Und spätestens wenn es darum ging, sich im Zweifel auf einem schmalen Pfad über die nächste Kuppe schieben zu lassen, wird Vertrauen zur unerlässlichen Größe (Mehr zum Thema Vertrauen im Team auch in unserem >>letztem Artikel dieser Reihe<<).
Was deutlich wird: Ein Wir-Gefühl entsteht nicht von selbst und stellt sich nicht automatisch ein, wenn man zusammenarbeitet. Sondern es braucht einen Rahmen, in dem es entstehen kann und Rahmenbedingungen, unter denen es wachsen kann. Dieser muss auch von der Führungskraft gesteckt werden.
Commentaires